Grundsätze zu Berufswahlprozess und Lehrstellenbesetzung: Commitment der Verbundpartner

Die Berufsbildung bietet Jugendlichen eine attraktive und solide Grundlage für die lebenslange fachliche und persönliche Weiterentwicklung. Die wichtigen ersten Schritte auf diesem Weg, den jedes Jahr rund 75‘000 junge Menschen antreten, sind mit Bedacht zu tun. Bund, Kantone und Organisationen der Arbeitswelt sind sich bewusst, dass ein Berufswahlprozess, der ausreichend Zeit lässt für alle Schritte bis zum Abschluss eines Lehrvertrags oder zur Anmeldung für eine schulische Ausbildung, für eine erfolgreiche berufliche Grundbildung fundamental ist.1 Ein solch fundierter Prozess hilft, Lehrabbrüche mit allen ihren persönlichen Konsequenzen und den dabei entstehenden Kosten für Lehrbetriebe und die Gesellschaft zu verhindern. Er leistet damit einen Beitrag zur Erreichung des erklärten Ziels, dass 95% aller 25-Jährigen über einen Abschluss der Sekundarstufe II verfügen.

Der Lehrstellenmarkt, auf welchen die Berufswahl die künftigen Lernenden hinführt, unterliegt verschiedenen Einflüssen. Auf der Angebotsseite sind es strukturelle Veränderungen, konjunkturelle Schwankungen wie auch die Ausbildungsbereitschaft der Unternehmen. Auf der Nachfrageseite wirken die demografische Entwicklung und die Interessen der Jugendlichen sowie ihr Umfeld. Diese Einflüsse können das Gleichgewicht auf dem Lehrstellenmarkt so verändern, dass ein Wettlauf um Ausbildungsplätze bzw. Lernende entsteht. Die Jugendlichen – aber auch ihre Eltern – geraten damit unter Druck, verfrühte Entscheidungen zu treffen, die ihre Eignung und Neigung unzureichend berücksichtigen. Um dieser Dynamik Gegensteuer zu geben und sicherzustellen, dass der Berufswahl- und Bewerbungsprozess gemäss einem für die Jugendlichen sinnvollen Zeitplan erfolgen kann, haben sich die Verbundpartner der Berufsbildung zu einem gemeinsamen Commitment entschlossen. Das von Erläuterungen zum Berufswahlprozess begleitete Commitment definiert Grundsätze zum zeitlichen Ablauf des Berufswahlprozesses bis zur Genehmigung des Lehrvertrages.

Das Commitment fördert ein gemeinsames Verständnis des Berufswahlprozesses mit seinen verschiedenen Phasen und Meilensteinen innerhalb des bestehenden Rahmens von Schullehrplänen, Arbeitsrecht und Berufsberatung. Diese Grundsätze betreffen Jugendliche die eine berufliche Grundbildung ansteuern, und grenzen sich bewusst von anderen Laufbahnentscheiden und der Erwachsenenbildung ab.

Commitment zu Berufswahlprozess und Lehrstellenbesetzung
Den Verbundpartnern der Berufsbildung ist es wichtig, dass Jugendliche eine passende Lehrstelle finden und Lehrbetriebe die geeigneten Lernenden rekrutieren können. Gemeinsame Grundsätze zu Berufswahl- und Rekrutierungsprozess von zukünftigen Lernenden ermöglichen eine sorgfältige, zeitlich gut abgestimmte Berufswahl im Interesse aller Beteiligten. Das Commitment wird auch von den unten genannten privaten Anbietern von Lehrstellenportalen mitgetragen.

In diesem Sinne erklären die beteiligten Akteure ihre Absicht, sich im Rahmen ihrer Kompetenzen und Verantwortlichkeiten für die Einhaltung der folgenden Grundsätze einzusetzen:

  1. Offene Lehrstellen werden frühestens im August des Jahres vor Lehrbeginn zur
    Bewerbung ausgeschrieben.
  2. Lehrverträge werden frühestens ein Jahr vor Lehrbeginn abgeschlossen.
  3. Lehrverträge werden frühestens im September des Jahres vor Lehrbeginn genehmigt.

Die solidarische Beachtung des Berufswahlfahrplans ist im Interesse der Jugendlichen, Betriebe und Kantone. Sie wirkt dem Wettlauf um frühe Vertragsabschlüsse und damit der Gefahr von Lehrvertragsabbrüchen aufgrund einer ungeeigneten Auseinandersetzung mit der Berufswahl und einem Leistungsabbau in der Schule entgegen.

Erläuterungen zum Berufswahlprozess

1. Berufliche Orientierung
Als Jugendliche oder Jugendlicher einen Beruf zu wählen, bedeutet, eine der ersten grossen Entscheidungen über die eigene Zukunft zu fällen. Einer grossen Vielfalt von Berufen steht eine Bandbreite an persönlichen Eigenschaften, Wünschen und Möglichkeiten gegenüber. Entsprechend bedeutsam ist es, dass der Berufswahlprozess sorgfältig angegangen und begleitet wird sowie klar strukturiert ist.

Die berufliche Orientierung ist eine gemeinsame Aufgabe von Eltern, Schulen, kantonalen Berufsberatungen und der Wirtschaft. Im Lehrplan 21 (LP21), Plan d’études romand (PER)
und Piano di studio ist sie als verbindlicher Auftrag der Schulen mit Schwerpunkt auf dem 7. bis 9. Schuljahr (9. bis 11. Schuljahr gemäss HARMOS) verankert. Ziel ist es, Jugendliche darin zu unterstützen, auf der Grundlage ihrer persönlichen Stärken und Interessen einen eigenverantwortlichen Berufswahl- bzw. Ausbildungsentscheid zu treffen und damit eine geeignete Anschlusslösung auf der Sekundarstufe II zu finden.

Informationen für die Berufswahl sammeln (7. und 8. Schuljahr bzw. 9. und 10. Schuljahr gemäss HARMOS)

Unabdingbarer Teil der beruflichen Orientierung ist die aktive Auseinandersetzung mit der Arbeitswelt und den verschiedenen Berufen. Im Unterricht, in den Berufsinformationszentren, im Internet, an Berufsmessen und Informationsanlässen machen sich Jugendliche ein erstes Bild von möglicherweise für sie geeigneten Berufen. Hinweise zu den schulischen

Anforderungen fast aller Berufe können auch auf www.anforderungsprofile.ch abgerufen werden, dies meist illustriert mit passenden Arbeitssituationen.

Die Berufspraxis für die Berufswahl entdecken (8. Schuljahr bzw. 10. Schuljahr gemäss HARMOS) Um die Passung zwischen den eigenen Stärken und Erwartungen und dem Arbeitsalltag zu prüfen, empfiehlt es sich, sich mit diesen Wunschberufen aus der Nähe vertraut zu machen. Im Fokus steht ein erstes, aktives Kennenlernen der Berufspraxis. Die Formate reichen von Betriebsbesuchen und berufsspezifischen Veranstaltungen bis hin zu mehrtägigen Schnuppermöglichkeiten. Zusätzlich gibt es zentrale Branchenangebote und ähnliche Veranstaltungen, die Informationen und Aktivitäten verbinden. Bei der Auswahl und Organisation dieser ersten Praxiserfahrungen erhalten die Jugendlichen Unterstützung durch die Schule und das private Umfeld.

  • Ein- oder mehrtägige Orientierungs-Schnupperlehren dienen der Berufserkundung und sind damit klar zu unterscheiden von den späteren BewerbungsSchnupperlehren im Rahmen der Rekrutierung. Betrieben, die im Rahmen der Orientierungs-Schnupperangebote potenziell geeignete Kandidaten/-innen für die Rekrutierung kennenlernen, steht die Möglichkeit offen, im Einvernehmen mit Jugendlichen und Eltern die Kontaktdaten aufzunehmen, um sie beim späteren Rekrutierungsstart zu einer Bewerbung einzuladen.
  •  Arbeitsrechtlich gilt: Beim Schnuppern leichte Arbeiten verrichten darf, wer das 13. Lebensjahr erreicht hat. Beim Arbeiten zuschauen ist bereits vorher möglich.
  •  Schnupperformate für die Berufswahl finden idealerweise bei Betrieben statt, die über eine Bildungsbewilligung verfügen, wobei je nach Branche und Format auch andere Betriebe in Frage kommen. Betriebe mit Bildungsbewilligung, welche für Orientierungs-Schnupperlehren für die Berufswahl zur Verfügung stehen, sind auf berufsberatung.ch abrufbar. Hinzu kommen regionale Anlässe, die Kontakte zu Betrieben oder direkt Orientierungs-Schnupperstellen vor Ort vermitteln.

2. Lehrstellenbewerbung
Auf die Phase der Berufserkundung folgt die Fokussierung auf einen konkreten Wunschberuf,
die Auseinandersetzung mit möglichen Alternativen sowie die Suche eines passenden Lehrbetriebs.

Eine passende Lehrstelle suchen (ab rund 1 Jahr vor Lehrbeginn)

Durch die Ausschreibung von offenen Lehrstellen zur Bewerbung startet der Rekrutierungsprozess und die Lehrstellensuche. Auf welchem Weg diese Ausschreibung auch erfolgt – z.B. die Homepage der Firma, das offizielle Lehrstellenverzeichnis der Kantone LENA, private Plattformen und/oder andere Wege -, ihr Zeitpunkt beeinflusst die Dynamik des Berufswahlprozesses. Eine vorzeitige Bewerbungsmöglichkeit kann die intensive Auseinandersetzung mit der beruflichen Orientierung behindern. Werden Ausbildungsmöglichkeiten in Betrieben oder auf Plattformen fortlaufend oder frühzeitig kommuniziert, sollte der Bewerbungsprozess für die offenen Lehrstellen entsprechend dem Commitment erst ab dem 1. August beginnen.

  • Betriebe, ebenso wie die Anbieter von Lehrstellenportalen sind aufgerufen, keine
    verfrühten Bewerbungsmöglichkeiten zu unterstützen.
  •  Das Commitment der Verbundpartner und privaten Akteure trägt der Bedeutung des Bewerbungszeitpunktes Rechnung. Im Rahmen des Berufswahlprozesses wird der 1. August als frühest tragbarer Termin für die Ausschreibung offener Lehrstellen zur Bewerbung definiert.
  •  Nur Betriebe mit Bildungsbewilligung sind berechtigt, Lernende auszubilden. Entsprechend sollen Lehrstellen nur von diesen Betrieben ausgeschrieben werden.

Sich um eine Lehrstelle bewerben (ab 9. Schuljahr bzw. 11. Schuljahr gemäss HARMOS)

Jugendliche, die eine offene Lehrstelle in ihrem Wunschberuf finden, treten in das Bewerbungsverfahren ein (ab 9. Schuljahr / 11. Schuljahr gemäss HARMOS). Zur Feststellung, ob Bewerber/-in, Beruf und Lehrbetrieb zueinander passen, setzen viele Betriebe Bewerbungs-Schnupperlehren ein. Anders als bei den oben beschriebenen Formaten für die Berufswahl, geht es hier nicht um das erste Kennenlernen von Beruf und Branche, sondern konkret um die Eignung eines/-r bestimmten Jugendlichen und einer bestimmten Lehrstelle füreinander.

  • Bewerbungs-Schnupperlehren sind ein optionaler Teil des Bewerbungsprozesses bei Firmen, die eine Lehrstelle ausgeschrieben haben.

Abschluss des Lehrvertrages (ab 9. Schuljahr bzw. 11. Schuljahr gemäss HARMOS)
Bestätigt sich im Laufe des Bewerbungsprozesses das gegenseitige Interesse von Bewerber/- in und Lehrbetrieb, ist der Weg zum Abschluss des Lehrvertrages geebnet. Zu früh abgeschlossene Lehrverträge können Jugendliche dazu verleiten, mit ihren Leistungen in der obligatorischen Schule nachzulassen. Es besteht die Gefahr, dass die schulischen Anforderungen in der Berufsfachschule nicht erfüllt werden können.

  • Die unterzeichneten Verbundpartner in diesem Commitment sind sich einig, dass Lehrbetriebe Lehrverträge frühestens ein Jahr vor Beginn des ersten Lehrjahres abschliessen sollen.

Genehmigung des Lehrvertrages (Herbst vor Lehrbeginn)
Um Rechtsgültigkeit zu erlangen, braucht der von allen Parteien unterzeichnete Lehrvertrag die Genehmigung durch die zuständige kantonale Behörde. Diese kontrolliert den Vertragsinhalt und die Ausbildungsvoraussetzungen und lässt den Vertragsparteien je ein genehmigtes Exemplar zukommen (BBG Art. 14 Abs. 3). Durch den Zeitpunkt, ab dem die zuständige kantonale Behörde eingereichte Verträge genehmigt, beeinflusst sie die Dynamik des Bewerbungsgeschehens. Durch die Möglichkeit früher Genehmigungen kann sich der ganze Rekrutierungsprozess nach vorne verschieben, was dem Zeitbedarf für eine umfassende Auseinandersetzung zuwiderläuft.

  • Die unterzeichneten Verbundpartner in diesem Commitment sind sich einig, dass die zuständigen kantonalen Behörden Lehrverträge frühestens ab dem 1. September vor Beginn des ersten Lehrjahres genehmigen sollen.
  •  Die Lehrbetriebe sind informiert, dass die Genehmigung von Lehrverträgen erst ab diesem Zeitpunkt erfolgt. Bei Vorliegen einer Bildungsbewilligung und eines ordnungsgemässen Lehrvertrags wird der Lehrvertrag genehmigt.

 

Ablauf des Berufswahlprozesses und Meilensteine des Commitments.