Der Umbruch, der alles in den Schatten stellt
Erst kam die Dampfkraft, dann die Elektrizität, dann der Computer. Jetzt entfaltet sich die vierte und gleichzeitig grösste der industriellen Revolutionen: die Digitalisierung. Oder heisst es digitale Transformation? Obwohl die Meinungen dazu noch auseinanderdriften, ist die Digitalisierung unsere Gesellschaft bereits am Durchdringen. Sie wälzt ganze Branchen um, weil sie viel mehr ist als nur Technologie.
Von Marco Peter
Die Digitalisierung ermöglicht, dass die Industrialisierung auf die nächste Evolutionsstufe klettert. Eigene Darstellung
«Etherum» gehört in der Blockchain-Fachwelt zu den ganz grossen Taktgebern. Die dazugehörende Cyber-Währung Ether rangiert hinter dem Bitcoin gleich auf Rang zwei. Etherum wurde 2014 erschaffen, und zwar in Zug. Die Attraktivität des Standortes haben in der Folge viele weitere Krypto- und Blockchain-Unternehmen wie Magnete hierhergezogen. Die Stadt ist international als «Crypto Valley» bekannt geworden. Aber schon vor den Kryptowährungen wurde in Zug digitalisiert: Die Landis+Gyr oder die Siemens Building Technologies sind Unternehmen, welche schon seit Jahren an smarten Infrastrukturen und Gebäuden arbeiten.
Neue Technologien wie Blockchain, 3-D-Drucken oder künstliche Intelligenz sind erst durch die Digitalisierung möglich geworden. Sie «wachsen» sozusagen aus ihr heraus. Sie sind jedoch nur die eine Seite der Digitalisierung. Wie sie uns als Gesellschaft verändern und transformieren, ist die viel weitreichendere Frage. Darum ist die Digitalisierung keine technologische, sondern eine kulturelle Herausforderung. Die transformative Kraft und ihr Einfluss auf Wirtschaft und Gesellschaft lässt sich an einem bekannten Beispiel gut aufzeigen.
Digitale Transformation: Schrei vor Glück oder schick’s zurück
Kleider und Schuhe rein online einzukaufen, war eins unvorstellbar – zu wichtig sei das Anprobieren im Laden. Dann kam Zalando. Die beiden Gründenden hatten das Potential erkannt: Digitale Technologien wie Online-Shops mit elektronischer Bezahlung waren 2008 stark auf dem Vormarsch. In anderen Bereichen waren die Technologien bereits breit etabliert, etwa in der Form von Lösungen für eine automatisierte und effiziente Logistik.
Zalando verfolgte ein neues Geschäftsmodell, verknüpfte die Technologien miteinander und erschuf eine digitale Plattform. Modeproduzenten und Labels docken «hinten» an diese Plattform an und liefern ihre Produkte hinein, «in der Mitte» durchlaufen die Güter einheitliche Logistik-Prozesse und «vorne» bestellen die Kunden online. Die Bude wird ihnen seither regelrecht eingerannt. Aus dem Start-up ist ein Unternehmen mit 15’000 Mitarbeitenden und einem Umsatz von 5 Mrd. Euro geworden.
Neue Standards haben Folgen für die Branche
Die Technologie von Zalando ist aber nur das eine. Das andere ist die Transformation, die in den Markt hineingetragen wurde: das digitale Unternehmen hat nachhaltig verändert, wie wir Kleider und Schuhe einkaufen. Wir können heute zu jeder Uhrzeit und an jedem Ort die mobile App von Zalando öffnen und nur zwei bequeme Klicks später ist die Bestellung abgesetzt. Am nächsten Tag habe ich die Lieferung zuhause. Was nicht passt, retourniere ich kostenlos. Mein Einkaufserlebnis als Kunde steht im Zentrum und die gesamte Interaktion findet digital statt. Was eine solche Umwälzung bedeuten kann, hat beispielsweise die Modekette OVS (ehem. Charles Vögele) 2018 schmerzlich feststellen müssen.
Eine Generation, die nur noch digital kennt
In allen Branchen und über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg ist sich diese transformative Kraft der Digitalisierung nun am Entfalten. Die von «first movers» wie Zalando gesetzten Massstäbe in Kundenzentrierung werden zum neuen Standard. Die ab 1997 geborene Generation Z kennt die «alte Welt» nicht einmal mehr und verlangt und lebt die neue «digitale, kundenzentrierte Kultur» konsequent – und zwar in allen Lebensbereichen. Für die Arbeitswelt beispielsweise ist das eine enorme Herausforderung: Aus dem Arbeitgebermarkt wird ein Arbeitnehmermarkt, die Erwartungen «analoger» und «digitaler» Generationen reiben aneinander, die Automatisierung rationalisiert Jobs weg, der Fachkräftemangel nimmt zu.
Schweizer Firmen sind unterschiedlich weit digitalisiert
Wie weit sind die Unternehmen in der Schweiz in Sachen Digitalisierung sind, ist nicht ganz einfach zu beantworten, da die Schweizer Wirtschaft sehr heterogen ist. Ein grosses Versicherungsunternehmen hat ganz andere digitale Bedürfnisse und andere Rahmenbedingungen als beispielsweise ein kleines Bauunternehmen. Es werden zwar laufend Studien und Befragungen durchgeführt, es liegt jedoch noch keine allumfassenden Ergebnisse zum Thema vor. In einigen Punkten decken sich die bestehenden Befragungen: die Digitalisierung ist für Verwaltungsrats-Mitglieder und Geschäftsleitende inzwischen zum wichtigsten Thema geworden. Es zeigt sich auch: Je grösser das Unternehmen, umso höher der digitale Reifegrad. Umgekehrt verhält es sich mit dem Alter der Geschäftsleitung: umso höher das Durchschnittsalter, desto weniger digitalisiert ist das Unternehmen.
Die Digitalisierung wird nicht aufhören, unsere Wirtschaft und Gesellschaft zu verändern. Siemens-Chef Joe Kaeser brachte es treffend auf den Punkt: «Wir stehen heute am Anfang einer Entwicklung, die unsere Wirtschaft und unsere Gesellschaft grundlegend verändern wird.» Die vierte industrielle Revolution sei die grösste Transformation der Industriegeschichte und werde an Energie und Geschwindigkeit alles bisher Dagewesene in den Schatten stellen.
Marco Peter nimmt als Web- und Contentspezialist verschiedene Funktionen in Marketing & Kommunikation für die redIT Services AG wahr.